Kaum ein anderes Duo hat die Erschießung im Sarcatal und den Dolomiten in den letzten beiden Jahrzehnten so geprägt wie Roly Galvagni & Diego Filippi - die "Freunde aus dem Unterholz", wie sie sich selbst bezeichnen.
Für uns kam der erste "Fels-Kontakt" an der "Parte Oscura della Luna" in der Sellagruppe zustande. Und gleich hinterher die "Delanda Carthago". Letztere ist eine der am häufigsten wiederholten Plaisirrouten in der Sellagruppe.
Mit kleinen aber feinen, erlesenen Touren, weit abseits des klassischen und heroischen Alpinismus hat uns Roly insbesondere in den Dolomiten Routen hinterlassen, die es tausenden von Kletterern ermöglicht relativ gefahrlos in dieser wunderschönen Bergwelt unterwegs sein zu können.
Uns bescherte er damit wunderschöne Stunden und Momente in einem der schönsten Gebirge der Welt.
Mille Grazie Roly & Diego!
Rolando „Roly“ Galvagni (Jahrgang 1967) ist verheiratet und leitet ein landwirtschaftliches Familienunternehmen in Südtirol. Im Alter von 15 Jahren fing er mit dem Klettern an. Vor allem das Sarcatal ist ihm zur zweiten Heimat geworden.
Vor vielen Jahren schon hatten wir ihn um ein Interview für unsere Kletterführer gebeten. Daraus entstanden ist eine tiefe Freundschaft und Verbundenheit, die bis heute hält.
Leider haben wir uns in den letzten Jahren nicht viel gesehen oder zusammen geklettert. Aber für einen Café ist immer Zeit...Und fast immer überreicht er uns stolz einen Ausdruck mit einer seiner neuen Routen.
So auch bei einem Besuch in diesem Frühsommer, wo er eine Neutour links der Parte Oscura einrichtete, die wir hoffentlich bald wiederholen können.
Wir wünschen ihm viel Glück und Gesundheit und noch viele tolle Erlebnisse in den Bergen seiner geliebten Heimat Südtirol.
INTERVIEW
topoguide.de: Wie bist Du zum Klettern gekommen? Hast Du im Klettergarten oder in den Bergen begonnen?
Roly: Ich erinnere mich an eine Fahrt zum Sella Joch Anfang der 80er Jahre. Das Wetter war schlecht, und zwischen dem Nebel konnte ich eine Seilschaft am Piz Ciavazes ausmachen. Das hat mich total elektrisiert, nie hätte ich gedacht, dass ich selbst einmal so ein Punkt mitten in einer Wand sein könnte. 1982 habe ich angefangen, in die Berge zu gehen und einen Grundkurs Felsklettern beim italienischen Alpenverein, CAI, gemacht. Zwei Jahre lang bestand meine alpinistische Tätigkeit aus Klettersteiggehen, Gletscher- und Höhenwanderungen. Zehn Jahre lang war ich Mitglied der Bergrettung. Seit 1987 gehe ich abwechselnd Sportklettern und in die Dolomiten. 1994 hat mich Massimo Maceri eingeladen, eine seiner Routen an der Laurinswand mit ihm zu beenden, danach haben wir die „Mikail“ am zweiten Sellaturm eröffnet. Ich bin Mitglied der Hochgebirgsgruppe des CAI Bolzano, die mich nicht nur mit Material, sondern auch moralisch sehr unterstützt – nicht zuletzt durch die sprichwörtliche Gegenwart von Massimo. Seit 2000 erschließe ich Neutouren unter anderem mit meinem Freund Diego Filippi aus Trento, der sehr vielseitig ist und sowohl Techno-Bigwalls als auch Klettergartenrouten macht.
topoguide.de: Hast Du irgendwelche Lieblingsgebiete oder -felsen?
Roly: Nein, ich habe kein Lieblingsgebiet – für mich ist die Wahl des Gefährten wichtiger als die des Felsens, denn ich könnte dieses Vergnügen nie mit jemandem teilen, mit dem ich mich nicht verstehe.
topoguide.de: Du hast sicherlich viele große Klassiker in den Dolomiten geklettert. Was hat Dich dazu bewegt, selbst Plaisirtouren zu erschließen?
Roly: Nachdem ich viele Klassiker im Sellamassiv und im Sarcatal geklettert hatte, fand ich den Übergang zu anspruchsvolleren Touren nicht selbstverständlich. Ende der 80er Jahre habe ich dann angefangen, mit Freunden einige Felsen in meiner Umgebung zu behaken (Marderplatte, Muhlen). Später habe ich im Sarcatal den Sektor „Il Transatlantico“ entdeckt und dort fünf Mehr- und zwölf Einseillängenrouten eingerichtet. Insgesamt habe ich etwa vierzig Routen mit jeweils 3 bis 14 Seillängen eingebohrt, vorwiegend gut gesicherte Sportklettertouren. Den Anstoß dazu hat die Kletterei im Valsugana, am Covolo und am Monte Cimo gegeben. Diese Art der Kletterei gefällt mir sehr (auch wenn damals die Sicherheitsstandards mit den heutigen nicht vergleichbar waren: 8mm-Bohrhaken gemischt mit Normalhaken und Klemmkeilen), und so habe ich nach einem Ort gesucht, wo ich selbst Routen einrichten konnte. Eines Tages, ich glaube es war 1988, habe ich im Magazin „Bergsteiger“ von der „Strada del Sol“, einer angeblich gut mit Spit gesicherten Sportklettertour an den Meisules, gelesen. Ich zog mit Paola los: In der ersten Seillänge steckten auf 35m (VI+) zwei Normalhaken, der Stand war hundsmiserabel ebenfalls an zwei Normalhaken; in der zweiten Seillänge (VII) steckten zwar Bohrhaken, aber der Stand an einer Sanduhr war mit einem Auto-Sicherheitsgurt versehen! Zwei weitere Längen ganz ohne Haken verliefen entlang einer älteren Tour von H. Holzer – zum Glück hatte ich zwei Friends dabei. Offenbar reichte damals ein Dutzend Bohrhaken für das Prädikat „Sportklettertour“ aus. Damals habe ich mir geschworen, Wiederholern immer die Wahrheit über den Stand der Absicherung zu sagen, falls ich eines Tages selbst eine Tour erschließen würde.
topoguide.de: Wie ist Dein Verhältnis zu den Traditionalisten? Gibt es Streitigkeiten oder Intoleranz gegenüber Deinem Erschließungsstil?
Roly: Ich hatte nie größeren Streit (abgesehen von einer Episode bei der „Delenda Carthago”), aber ich weiß, dass es Kritiker gibt. Vielleicht kennen die mich nicht persönlich oder halten mich für einen nutzlosen Bohrteufel. Mir ist klar, dass mein Erschließungsstil nicht nur Zustimmung findet, und ich respektiere eine andere Meinung, aber bitte: schlagt mir nicht die Bohrhaken kaputt!
topoguide.de: Was sagst Du zu der Kritik, dass „die junge Generation“ die traditionelle Kletterethik einfach über den Haufen wirft?
Roly: Die „junge Generation“ hat Mühe, sich in der heutigen Zeit voller Widersprüche und Werteverlust zurechtzufinden, und es ist nur normal, dass dies auch für den Klettersport gilt. Eine Tour zu erschließen ist immer noch eine mühsame Angelegenheit, und ich glaube nicht, dass in der nahen Zukunft viele junge Leute noch die Motivation dazu aufbringen werden. Die ganze Diskussion ist ziemlich scheinheilig: Sie wirft erstens alle jungen Menschen in einen Topf und betrachtet zweitens nur die negativen Aspekte. Jemand hat es einmal sehr radikal ausgedrückt: „Die Jugend hat immer Recht“. Klettern ist nun mal in gewisser Weise widersprüchlich und schwer zu verstehen. Jeder bringt seine eigenen – menschlichen wie existenziellen – Lebenserfahrungen mit, und das spiegelt sich ganz stark in seiner Art zu klettern wider. Ich denke, es ist wichtig, dabei heiter und gelassen zu bleiben und sich nicht von fremden sozioökologischen Ideologien oder Theorien beeinflussen zu lassen.
topoguide.de: Unterwirfst Du Dich selbst bestimmten Grenzen oder Regularien, damit auch für die nächste Generation noch genug Spielraum bleibt?
Roly: Ich glaube nicht, dass meine Linien künftigen Generationen den Spielraum wegnehmen, denn meine Touren sind eher schlicht, von nur mäßiger Schwierigkeit und an solchen Wänden, an denen niemals heldenhafte Alpingeschichte geschrieben wird; wohin ganz bestimmt keine Spitzenkletterer kommen und extreme Kletterleistungen vollbringen.
Meine Regeln und meine Ethik bestehen darin, wie ich sie auch im täglichen Leben anwende. Ich schätze die Meinung und Taten anderer sehr sowie eine gesunde Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen und andere Meinungen ebenso wie Lektionen, die das Leben erteilt, anzunehmen. Die oberste und wichtigste Regel ist, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen.
Beim Erschließen von Neutouren bringe ich all’ meine Leidenschaft ein, suche homogene und interessante Linien. Dabei bin ich kein Extremkletterer, sondern vielmehr ein praktisch denkender Mensch.
topoguide.de: Was denkst Du, wie sich der Klettersport in den Dolomiten weiterentwickeln wird?
Roly: Ich denke, es wird demnächst mehr Bohrhakentouren in den Bergen geben. Und ich fürchte, dass es zu großen Meinungsverschiedenheiten darüber kommt. Aber dann wird es eine Übergangszeit und schließlich vielleicht eine gesunde Diskussion geben. Hoffen wir mal, dass dabei keine falschen Ideologien aufs Tapet gebracht werden und man sich scheinheilig auf die Tradition beruft.
Vielleicht erleben wir auch eine Aufteilung der Berge in verschiedene „Zuständigkeitsgebiete” mit einer kafkaesken Kommission, der man jedes Projekt unterbreiten muss und die dann nach festgelegten Kriterien darüber urteilt, ob, wie, wo und wann eine Tour entstehen darf – das wäre dann das Ende. Nun, vielleicht hat mich die Lektüre von Orwell beeinflusst...
Florian, ein guter Freund von mir, sagt: Regel Nr. 1: Niemals jemanden um Erlaubnis fragen...
topoguide.de: Was bedeutet Dein Markenzeichen, die Sonne?
Roly: Ich habe das Symbol der aufgehenden Sonne gewählt (das übrigens auch auf meinem Arm eintätowiert ist), weil es mich stark an meine Jugendzeit erinnert – es stammt aus dem Comic „Tex Willer“ (nach dem ich auch die Tour am Col del Bois benannt habe) – und weil in allen Kulturen die Sonne einen positiven Charakter symbolisiert.
Eine kleine Auswahl ihrer schönsten Routen:
Parte Oscura della Luna (Sella)
Ultima Tule (Hexenstein - Cortina)
Pantarei (San Paolo - Sarcatal)
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