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Vier Generationen Kletterführer

Meine ersten Kletterführer bekam ich von meinem Patenonkel, der mich damals im zarten Alter von 13 Jahren zum Klettern ans fränkische Walberla mitnahm. 

Es waren die Dolomitenführer von Gunther Langes, später respektierlich von vielen als die "Langes Märchenbüchlein" betitelt. Die gesammelten Touren passten in zwei Bände und die Routenbeschreibungen glichen eher Romanerzählungen. Sie waren geprägt von persönlichen Erlebnissen und Eindrücken aus der damaligen Zeit. Im Vorwort von 1969 steht zu lesen: "Seit über 40 Jahren ist kein deutschsprachiger Führer mehr über die Dolomiten erschienen". Wenig verwunderlich, denn die Menschen hatten in der Nachkriegszeit sicher andere Sorgen und Wichtigeres zu tun. Für "weite" Reisen blieb bei den allermeisten kein Geld übrig. Schon gar nicht für Kletterführer. 

Relativ schnell wurden diese Lücken geschlossen und die Rother-Führer, später unterstützt durch den DAV, hatten quasi ein Monopol. Gebiet für Gebiet wurde aufgearbeitet, und es entstand vermutlich die umfangreichste alpine Bibliothek. 

Erstmals fanden auch Wandbilder und rudimentäre Skizzen, die man später als Topos bezeichnete, Eingang in die kleinen handlichen Büchlein, die man statt dem Smartphone, in der Kniebundhose durch die Tour trug. 

 

 

 

Fast zur gleichen Zeit entstand die Idee, die 100 anspruchsvollsten Routen der Alpen in einem Bildband zusammenzufassen. Es war die Geburtsstunde des bis heute legendären "PAUSE"-Führers. Während Jürgen Winkler für die sensationellen Aufnahmen sorgte, trug Walter Pause die Routeninfos zusammen. Freunde und Bekannte halfen dabei tatkräftig mit der Auswahl. Bis heute ist die Routensammlung legendär. Sie repräsentierte den damaligen Standard und das Leistungsniveau der Besten. Bisher gelang nur Josef Gwigger die Wiederholung aller Routen. Wenngleich einige junge "Nachwuchskletterer" kurz davor stehen. Und wenn so mancher Berg nicht mit Getöse in einer großen Gletscherspalte verschwindet, schaffen sie dies sicherlich auch. 

Inzwischen betrat eine neue Spezies die Bühne. Das Freiklettern hielt Einzug und veränderte die Begehungsstile nachhaltig bis zum heutigen Tag. Damit verbunden war der Wunsch nach detaillierteren Informationen und eine Änderung der Schwierigkeitseinstufung. Wobei man noch lange an der alten Welzenbachskala festhielt. Erst mit den "Pumprissen" im Wilden Kaiser und den "Modernen Zeiten" an der Marmolada Südwand wurde diese, anfangs sehr zaghaft, nach oben hin geöffnet. Wenngleich sicher schon davor viele andere in diesen Graden kletterten. Vielleicht war der Leistungsgedanke weitaus weniger wichtig als heute. 

 

In den späten 80ern entstanden die ersten Auswahlführer. Beschreibungen wurden detaillierter verfasst und Topos detailgetreuer gezeichnet. Erste Bewertungskorrekturen fanden statt. Den damaligen Höhepunkt fand dies mit Veröffentlichung der Schweiz Plaisir- und Extremführer von Jürg von Känel. Mit seiner Liebe zum Detail prägte der eine ganze Epoche. Lange Zeit waren sie "State of the Art", kleine Kunstwerke. Er war der Wegbereiter für moderne, informative Topos. Ein Visionär. Jemand, der etwas verändern wollte und Neues wagte. Von nun an fanden auch weniger versierte Kletterer den Weg in die Berge. Zugleich begann mit dem vermehrten Einsatz der Akkubohrmaschine das Plattenzeitalter. Nicht weniger heroisch... 

Fast ein, in machen Gebieten zwei Jahrzehnte dauerte es, bis ähnliche Führerwerke von unterschiedlicher Qualität auf den Markt kamen. Zur Jahrtausendwende arbeiteten zeitgleich vier bis fünf Führerautoren an den unterschiedlichsten Projekten. Viele moderne Gebietsführer entstanden. Oft waren es auch fleißige Erstbegeher, die ihre Routen im "Alleingang" veröffentlichen. Aber auch neue Verlage entstanden, während ältere den Zeitsprung verpassten. 

Es war die Zeit, als auch wir vieles in einem anderen, modernen Licht darstellen wollten. Und dabei schon immer gerne über den Tellerrand hinausschauten. Es musste doch im großen Alpenbogen noch mehr geben, als die Dolomiten und Schweizer Berge. Und so zog es uns immer wieder in die Ferne, auf der Suche nach für uns neuen Gebieten. Wir waren erstaunt und begeistert über die Vielfalt, die es alpenweit zu entdecken gab. Und so entstand im Laufe der Zeit die Idee, einen Auswahlführer aller von uns gekletterten Touren aufzulegen. Inzwischen wurden daraus vier fette Bände. Und sobald der Sommer und Herbst in den Alpen zu Ende ging, suchten wir auf Korsika nach den schönsten Touren im griffigen Tafonifels. 

Wir waren die ersten, die Topos im world wide web anboten. Eher zufällig, wie jeder in unserer Entstehungsgeschichte nachlesen kann. Ein verlorener Autoschlüssel und diverse Verhauer gaben die Idee dazu. Viele sprachen damals vom "neuen modernen Pause". Doch schon bald war klar, dass die Zukunft im Netz stattfindet. Die ersten Blogs entstanden, und jeder konnte jedem mitteilen, was er erlebte. Eine ganze Reihe von Plattformen sprangen auf den Zug auf. Viele sahen anscheinend Dollarzeichen vor Augen aber nicht die Detailarbeit, die dahinter steckt. Man bediente sich also der "Community" und trägt bis zum heutigen Tag so viele Touren zusammen, wie nur irgend möglich. Doch auch "mountain4nothing" hat seinen Preis. Der Informationsgehalt wird trotz GPS, Tracks und toller Bilder immer flacher. Die Angaben sind kaum verifizierbar. Eine sinnvolle Einordnung und Kategorisierung ist kaum möglich. Trotz google-Übersetzer bleiben viele Fragezeichen. Eine solide Tourenplanung glich zumindest für uns immer einer Wundertüte. Man weiß nie so wirklich, was man bekommt. Die Welt im Netz ist schön, selten objektiv oder gar realistisch. Die Selbstdarstellung auf Insta & Co. nimmt ihren Lauf. Für mich ist diese Generation nicht sehr beneidenswert. Sie entwickelt sich dadurch mehr und mehr zurück. Viele Skills gehen verloren, um in deren Sprache zu bleiben. Aber die Erde dreht sich immer weiter... 

 

Hier zum Abschluss an Hand der "Schleierkante" an der Cima della Madonna noch ein Abriss durch drei Führer-Epochen.

Betzenstein, an einem furchtbar verregneten Frühjahrssonntag.

Volker Roth

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