Schon immer habe ich mir gewünscht auch mal mit einem "topoguide" unterwegs sein zu können. Nicht mit vagen, interpretativen Informationen nach dem richtigen Weg zu suchen, einfach mal vor! Tourenantritt zu wissen auf was wir uns einlassen und was da so auf uns zu kommt.
Im diesem Sommer war es dann endlich soweit. Nach weit über 1500 MSL- und Alpintouren habe ich beschlossen mal nicht mehr nur dem Neuesten oder Unbekannten "nachzujagen", mal etwas kürzer zu treten, zurücklehnen und ein paar schöne Touren und Momente in den Alpen zu genießen. Meine Freude an diesem wunderbaren Tun weiterzugeben und mir Zeit zu nehmen, für einen Blick in den Rückspiegel.
Klimawandel
Seit April standen wir in den Startblöcken und saßen auf gepackten Rucksäcken. Doch der Regen wollte einfach nicht aufhören, bis es zuletzt ganze Ortschaften und Täler einfach den Bach runter spülte.
Furchtbar und traurig, was wir hier gerade miterleben. Daher waren viele der von uns anvisierten Ziele unerreichbar, teilweise sogar bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Bei Saint-Martin-Vésubie gibt es einige Täler gar nicht mehr. Sie wurden vom Geröll zugeschüttet. Ähnlich schaute es in La Berarde aus. In vielen Regionen werden kleine Bergstraßen ihrem Schicksal überlassen und vielleicht gar nicht mehr rekonstruiert. Milliardenbeträge sind nötig - aber die bekommen schon die Teslas, Intels und die (Rüstungs-)Industrie. Was bleibt ist eine Spur der Verwüstung. Zurückgelassen werden Menschen und Regionen in größter Not.
Mein Plan war es, über den Sommer einige, der aus meiner Sicht schönsten Alpinrouten zu wiederholen. Gar nicht so einfach, wie sich bald herausstellen sollte. Denn wie so oft in den letzten 20 Jahren, war das Wetter abermals nur im südwestlichen Alpenbogen beständig. Das hat sich allerdings längst herum gesprochen und so standen in den talnahen Touren von Ailefroide an vielen Einstiegen drei bis fünf Seilschaften. Nach Jahrzehnten der Einsamkeit keinesfalls mein "Ding" und so suchten wir bald einmal das Weite. Die Geister die ich rief...
Mit einer Zwischenstation im Ubayetal erreichten wir - immer vor der Tour de France flüchtend - das Refuge Cougourde. Für die nächsten drei bis vier Tage sollte dies unser Standort bleiben und man glaubt es kaum: Dort konnten wir einige der schönsten Alpintouren die ich kenne in völliger Einsamkeit wiederholen. Balsam für die Kletterseele!
In Isola und am Col de la Lombarde holte uns dann der "Peloton" mit seinen tausenden Fans ein. Drei Tage absoluter Ausnahmezustand der Partygesellschaft musste vor allem nachts ertragen werden. Tagsüber herrschte in den Neutouren der Umgebung glücklicherweise absolute Ruhe. Selten kreuzte mal eine italienische Seilschaft unseren Weg, die wild gestikulierend, meist viel zu erzählen wusste. "You'll never walk alone"...
Das Wetter...
Tief im Herzen bin ich aber dann doch irgendwie ein Neulandsucher. Neue Gebiete zu erkunden ist für mich wie ein Blick in eine Schatztruhe, nicht selten jedoch mit Überraschungseiern oder altem Plunder. Ähnlich war es auch wieder in diesem Sommer, wo wir angesichts der brütenden Hitze nach Touren in höheren Gefilden suchten und bei "mountain4nothing" schnell fündig wurden. Am Großen Sankt Bernhard fanden wir schließlich am Tour des Fous (was für ein bezeichnender Name) eine Route, die sicher zu den schlechtesten zehn im ganzen Alpenraum zählt. Willkommen zurück in der Realität eines Führerautors.
Vieles hat sich im Laufe der Jahre verändert. Nicht nur durch den Klimawandel, der oft Um- oder neue Wege nötig macht. Sanierungen sind im Gange, wodurch manche Routen geringfügig verändert oder angepasst wurden. Das Schwierigkeitsempfinden ist ein anderes. Und wenngleich wir damals schon vieles angepasst und aufgewertet hatten, bleibt doch noch Luft nach oben. Heute würden wir fast alles aus Band I und vermutlich auch die Touren aus Band II noch einmal um einen drittel Grad aufwerten. Ganz zu schweigen von den komplexen und ganzheitlichen Anforderungen, die eine Mehrseillängentour an Wiederholer stellt. Eine Überforderung oder fehlende Erfahrung ist inzwischen bei über 80, vielleicht 90 % aller Seilschaften zu beobachten. Social Media und GPS-Tracks ersetzen halt doch nicht das nötige Fachwissen und den gesunden Menschverstand. Die jüngeren Generationen haben es hier leider wesentlichen schwerer als wir. Sie müssen sich ihre Erfahrungen mühsam erarbeiten. Mein Tipp: Legt doch mal das Handy beiseite und schließt euch älteren, erfahrenen Kletterer an. Ihr werdet enorm vom Erfahrungsaustausch profitieren. Hat euer Gerät keinen Empfang oder funktioniert sonst etwas damit nicht, sitzt ihr in der Falle und der Klettertag ist zu Ende, bevor er vielleicht begonnen hat. Auf dem Smartphone muss man, um Details zu erkennen "rein zoomen". Dadurch geht jedoch der Blick für das "große Ganze" verloren. Die Übersicht fehlt oder leidet. Zumindest geht es mir dabei so. Stände werden bis zur Unkenntlichkeit, dem Sicherheitsbedürfnis entsprechend aufgerüstet, dazu Walkie-Talkies. Doppelter Partnercheck. Rucksäcke für eine 4-Wochenexpedition. Alles soll "safe" sein. Risikoabwägung scheint eine Eigenschaft, die es nicht mehr gibt. Ideal wäre hier sicher "Altes" mit "Neuem" zu verbinden oder zu integrieren. Abläufe zu optimieren, ohne dabei viel Zeit zu verlieren oder in eine Sackgasse zu geraten. Unseren Teil dazu bekommt ihr in Form von qualitativ hochwertigen Informationen aus erster Hand. Was diese Wert sein können merkt ihr vielleicht erst wenn ihr unterwegs seid. Doch diese umfangreichen Recherchearbeiten können wir nicht zum Nulltarif anbieten. Probiere es aus, vergleiche und entscheide dich für das Original, statt einer am Schreibtisch erstellten Kopie.
Vieles haben wir angestoßen, verbessert, anderes hätte man sicher auch noch besser ausarbeiten können. Alles in allem bin ich, können wir, stolz auf das sein, was wir geleistet haben. Wer also noch länger in den Bergen unterwegs sein möchte, dem empfehlen wir schleunigst unsere alpines Kompendium zu bestellen, denn die Bestände neigen sich dem Ende und Neues wird es wohl kaum noch in gedruckter Form geben. Dafür haben sich die Bedingungen und Zeiten zu sehr verändert und leider können auch wir die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Es bleibt nur die Erinnerung an eine fantastische Epoche, die wir zum Teil mit gestalten und prägen durften.
In diesem Sinne wünschen wir euch eine immer gute Heimkehr und viele tolle Erlebnisse mit unseren Büchern und Tourenvorschlägen in den Alpen und auf natürlich auf Korsika.
Berg Heil & Sport frei!
Volker Roth
Betzenstein, Sommer 2024
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