Das "Pause-Buch" ist und bleibt ein Klassiker der Alpinliteratur. Aber wie steht es um die Tourenauswahl und Qualität der Routen? Was ist eure Meinung dazu?
Werden nur noch die leicht zugänglichen, sanierten Routen geklettert - oder auch ab und zu die wilden, wie zum Beispiel der Droitespfeiler, die düsteren Nordwände im Oisans (Dauphiné) oder eine Solleder in der Civetta?
Streichelt man eher das Kätzchen oder steigt man auch mal zum Tiger in den Käfig?
Schon unsere Vorfahren waren Sammler. Heute haben wir jedoch aufgrund der Vielzahl an Informationen die Möglichkeit, unser Menü zu erweitern. Oder lasst Ihr Euch mit schmaler Influencerkost abspeisen?
Auf mich hatten diese großen Alpinklassiker zwar eine gewisse Anziehungskraft aber bei genauerem Hinsehen sind oft die direkt daneben verlaufenden Routen wesentlich attraktiver. Ganz gleich ob nun klassisch oder modern.
Eine Linie im klassischen Sinne bedeutet ja nicht selten auch eine "verwickelte" Routenführung, um auf dem "leichtesten" oder bestmöglichen Weg zum Gipfel oder durch die Wand zu gelangen, während die moderneren meist dem schönsten Fels folgen und die interessanteren Kletterstellen aufweisen.
Möglich wurde das natürlich erst durch die Verwendung von Bohrhaken oder modernen Sicherungsgeräten.
Zwei Beispiele können das gut veranschaulichen:
Große Zinne - Hasse Brandler (Pause) vs Comici
Beides sind ganz große Klassiker der Alpingeschichte.
Aus meiner Sicht ist die "Hasse" eher ruppig und die Behakung unter Freikletteraspekten viel zu alt und ungeeignet. Die "Comici" hingegen lässt sich "flüssig" klettern und auch halbwegs mobil zusätzlich absichern. In beiden werden jedoch Sanierungen im Keim erstickt und im Falle von Südtirol rigoros abgelehnt. Ganz anders hingegen in der Schweiz oder dem Mont-Blanc-Gebiet.
Dies nur als weitere Anmerkung!
Grand Capucin - Bonatti (Pause) vs O sole mio
Einmalige Hakenzieherei vs grandiose Platten und Risskletterei. Ambiente und Umgebung sind natürlich in beiden herausragend.
Folgende weitere Vergleiche finde ich ebenfalls interessant:
PAUSE
Badile - Cassin
(grandioses Ambiente; Kletterei und Felsqualität weniger ansprechend)
Cengalo - NW-Pfeiler
(immer noch möglich und auch gute Kletterei, zu Beginn teils etwas ruppig; große Bergfahrt)
Petites Jorasses - Contamine
(gewaltige Linie; grimmig am Morgen; sonnige griffige Platten am Nachmittag; teils prekäre Absicherung)
Pic sans Nom - George/Russenberger)
(vermutlich in Teilen schon nicht mehr existent und kaum noch kletterbar; eher mixed im Spätwinter)
Graue Wand - Niedermann
(sanierter Megaklassiker der bei weitem nicht an die Qualität des benachbarten Eisbrechers herankommt)
Salbitschijn - Westgrat
(lang und anstrengend; viel zu wenige schöne Kletterstellen)
Olan - Nordwandtouren (grimmig...)
ALTERNATIVE
Badile - Nordkante
(tolle Linie; über weite Strecken sehr guter Fels; sehr schöne flüssige Kletterei)
Cengalo - Spigolo Vinci
(die sonnige Alternative; prächtige Kletterei und gute Absicherbarkeit)
Petites Jorasses - Anouk
(das moderne Pendent von Michel Piola mit ebensolcher Absicherung und "moderner" Kletterei)
Pic sans Nom - Tour Jaune
(inzwischen mehrfach nachgerüsteter Einstieg; auch hier gab es Bergstürze...)
Graue Wand - Eisbrecher
(phantastische Riss- und Schuppenkletterei bei fordernder, teils eigenverantwortlich anzubringender Absicherung)
Salbitschijn - Südgrat
(fantastische, leider zu gut besuchte Kletterei)
Olan - Südwandtouren (plaisir...)
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und nahezu alle Routen, klassisch wie modern, findet ihr in unserem "Alpinkompendium". Mir ist es einfach ein Anliegen Alternativen zum vermeintlichen Mainstream aufzuzeigen. Meist sind es nur wenige "Meinungsmacher" auf die man vielleicht "hereinfällt". Und natürlich ist das Pause-Buch Kult, genau wie es das "Langes-Märchenbüchlein" davor war. Und genauso gibt es inzwischen viele moderne Beschreibungen, die auf Blogs und in Büchern moderner Darstellung die Wahl vielleicht zur Qual machen. Bildet euch eine eigene Meinung! Die Sommertage in den Bergen sind gezählt und nicht selten gibt es oft nur wenige Wetterfenster für große Unternehmungen; in manchen Sommer gar keine.
Darum überlegt gut, für welche Unternehmung ihr euch entscheidet.
Volker Roth, kein Pausepunktesammler, kein Gipfelsammler, kein Chronist aber Qualitätsfels- und Neulandsucher
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