Der Spiz d’Agnèr steht in einem der wildesten Winkel der Dolomiten.
Im Tourenbuch auf der Biwakschachtel sind von 1986 bis 2005 nur
12 Begehungen der »Via Oggioni« verzeichnet, und viel mehr waren
es in den 15 Jahren davor vermutlich auch nicht. Wer hier einsteigt,
sollte über eine umfassende alpine Erfahrung verfügen, denn die
Route ist anspruchsvoll mit all den damit verbundenen Risiken und
Nebenwirkungen. Früher wurde die Felsqualität im Vergleich mit anderen
Dolomitentouren durchaus als gut bezeichnet. Diesem Vergleich
hält sie heute nur an wenigen Stellen Stand. Dennoch gibt es
hier einige schöne Passagen, wobei der Klettergenuss bei diesem
Extremklassiker sicherlich in den Hintergrund tritt.
Armando Aste widmete die kühne Linie seinem Freund Andrea
Oggioni, der am Frêneypfeiler ums Leben kam, und er verglich die
Schwierigkeiten der Tour mit der »Vinatzer« an der Marmolada. Das
ist durchaus berechtigt, obwohl hier die zahlreichen Haken und Orientierungshilfen
fehlen. In einigen brüchigen Passagen lassen sich
überdies kaum verlässliche Zwischensicherungen anbringen, was
die sowieso schon angespannte Psyche zusätzlich belastet. Nach
Sichtung eines der wenigen Haken der aussagt: hier war schon mal
jemand, folgt eine tiefe Erleichterung, die allerdings nicht lange anhält.
Für den tüchtigen Alpinisten löst sich jedoch vieles von selbst,
und am Ende wird er stolz auf die eigene Leistung mit etwas Wehmut
am Gipfel stehen, weil wieder ein Abenteuer zu Ende ist.